Das Überbringen von Todesnachrichten gehört zu den heikelsten Momenten des Polizeiberufs. Besonders wenn ein Kind ums Leben gekommen ist, schnürt es oft auch Hartgesottenen die Kehle zu. Das Polizeipräsidium Hamm hat jetzt zwölf Opferbetreuerinnen und -betreuer berufen, die sich neben ihrer Haupttätigkeit im Polizeidienst für diese Aufgabe gemeldet haben. Das dort erarbeitete Konzept hält das nordrhein-westfälische Innenministerium für vorbildlich. Es basiert auf einer zentralen Multiplikatorenschulung, die das LAFP NRW für alle Kreispolizeibehörden anbietet.
Die Freiwilligen des Polizeipräsidiums Hamm wurden zunächst theoretisch geschult. Am zweiten Tag trainieren sie die Praxis. Die Gruppe lernt, wie man sich in einer solch schwierigen Situation verhält. Dazu dienen Rollenspiele. Sie machen deutlich, was einen erwarten kann. Ein Szenario ist jeweils vorgegeben. Zum Beispiel ein Wildwechsel in der Abenddämmerung, der einen Sattelschlepper auf einer nassen Ausfallstraße zum Ausweichen zwingt. Der Fahrer des Lkw verliert die Kontrolle und schleudert auf die Gegenfahrbahn in einen Kleinwagen. Dessen 18-jähriger Fahrer wird beim Aufprall schwer verletzt. Seine 15-jährige Freundin Lena stirbt noch am Unfallort.
Die Leitstelle informiert sofort die Opferbetreuerin und eine Notfallseelsorgerin. Gut eine Stunde später stehen sie vor der Wohnung der Eltern. Eile ist geboten, weil die Medien und die sozialen Netzwerke schon über den Vorfall – auch mit Fotos – berichten. Die Angehörigen sollen nicht von Dritten erfahren, was passiert ist.
Der Mann, der in der Übung den Vater darstellt, öffnet die Tür – und erschrickt. „Haben Sie eine Tochter mit dem Namen Lena?“, fragt die Beamtin, um sicherzugehen, am richtigen Ort zu sein. Als der Vater bejaht, bitten die beiden, eintreten zu dürfen. Bisher entspricht alles der Checkliste, einem Leitfaden für die empfohlene Vorgehensweise.
Die Beamtinnen nehmen auf dem Sofa Platz. Für Sekunden tritt Stille ein. „Ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Tochter Lena bei einem Verkehrsunfall verstorben ist“, lautet die mit fester Stimme vorgetragene Nachricht der Polizistin. „Das kann nicht sein“, schreit der Vater verzweifelt. „Sie hatte doch noch so viel vor.“ Die Mutter ist wie erstarrt.
Auch in den anderen Polizeipräsidien und Kreispolizeibehörden des Landes sollen sich speziell geschulte Beamtinnen und Beamte bereithalten, um die Angehörigen aufzusuchen. Das erfordert Einfühlungsvermögen und Professionalität.
Der polizeiliche Opferschutz wird nicht nur nach Unfällen, sondern auch nach einem Suizid oder nach dem Auffinden einer toten Person, die allein in ihrer Wohnung gelebt hat, tätig. Pastor Hendrik Meisel, Leiter der Notfallseelsorge in Hamm, begrüßt die neue Struktur und die festgelegten Abläufe: „Unser Part ist die seelsorgliche Betreuung nach der Erstinformation durch die Polizei.“ Kristina Ruhnke von der Leitstelle ist froh, sich hier engagieren zu können. Sie fand es immer „menschlich unbefriedigend, bei Todesfällen nur auf den Opferschutz zu verweisen und dann zum Alltag überzugehen“. Jetzt ist sie dabei, um das Unbegreifliche begreifbar zu machen.
Oguzhan Özcan, normalerweise als Motorradstreife unterwegs, irritierte die bislang übliche Improvisation bei der so wichtigen Aufgabe. „Ich will die Kolleginnen und Kollegen entlasten“, sagt er. „Vielen graut es, eine Todesnachricht zu überbringen. Ich möchte mit dazu beitragen, dass dies auf angemessene und hilfreiche Weise geschieht.“ Seit dem 1. Oktober sind die zwölf Opferbetreuerinnen und -betreuer des Polizeipräsidiums Hamm nun im Einsatz.