Es soll Angreifer stoppen und bedrohliche Situationen schnell und möglichst folgenlos auflösen. „Die abschreckende Wirkung des DEIG ist sehr groß, sodass es meist reicht, den Einsatz nur anzudrohen“, zieht Till Fürup vom Landesamt für
Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) ein erstes positives Fazit.
Die von der Landesregierung beschlossene Erprobungsphase läuft bis Ende des Jahres. Die Ergebnisse werden laufend ausgewertet. Nach Ende des Pilotprojekts wird über die Einführung entschieden. In Rheinland-Pfalz, Hessen und dem Saarland gehört das DEIG bereits zur allgemeinen Ausstattung der Polizei. Weitere Bundesländer werden nachziehen.
„Wir in NRW wollen trotzdem genau prüfen, ob sich die Geräte bewähren“, sagt Till Fürup. Der 38 Jahre alte Polizeirat betreut das Projekt im LZPD als Leiter der Geschäftsführung. „Bei uns treffen die Rückmeldebögen über jeden Einsatz des DEIG ein, auch wenn der Einsatz nur angedroht wurde“, erzählt er. Das LZPD-Team aus Duisburg hält den Kontakt zu den Polizeibehörden im Land, die das Gerät jetzt im Pilotversuch nutzen. Schon im September vorigen Jahres hatte man mit der Vorbereitung der Testphase begonnen. Das LZPD NRW setzte den Rahmen für die Ausbildung und das Training der Beamten und sorgte dafür, dass genug Distanzelektroimpulsgeräte angeschafft werden konnten. Das Landesamt für Ausbildung, Fortbildung uns Personalangelegenheiten (LAFP) entwickelte parallel das Beschulungskonzept.
Den Polizeivollzugsbeamten in den ausgewählten Wachen steht nun ein Zwangsmittel zur Verfügung, das den Angreifer für mehrere Sekunden mit Stromimpulsen vorübergehend kampfunfähig macht. In Nordrhein-Westfalen gibt es bis zum Beginn des Frühjahrs keine schweren Zwischenfälle.
Um sich ein Bild vom Projekt zu machen, hat die „Streife“ bei der Wache in Hürth im Rhein-Erft-Kreis vorbeigeschaut. Wachleiter Mario Larres zeigt sich zufrieden. Der 53-jährige Beamte sieht eine große Chance darin, den Fortgang des Vorhabens mitgestalten zu können. „Die Kolleginnen und Kollegen engagieren sich, weil sie zum Erfolg beitragen möchten“, stellt der Erste Polizeihauptkommissar fest. „Wo andere Einsatzmittel weniger erfolgversprechend sind, füllt das DEIG in statischen Lagen eine Lücke“, führt er aus. „Wenn der Störer still steht, aber sich widersetzen will, können wir ihn aufhalten, ohne ihn erheblich zu verletzen. Nach jetzigem Stand wirkt das absolut überzeugend. Seit der Schulung sind sogar die anfänglichen Skeptiker beeindruckt.“
Ivonne Hoppen erläutert, wie das Gerät funktioniert. Die Polizeihauptkommissarin hat die Kollegen aus Hürth drei Tage lang im Regionalen Trainingszentrum Linnich am DEIG ausgebildet, Einsatzkonstellationen durchgespielt und auch rechtliche Problematiken mit ihnen erörtert. Die Grundfragen lauteten: Was kann das DEIG? Wie kann ich es am besten einsetzen? Was unterscheidet es von anderen Waffen?
Das neue „Modell Taser 7“ ist eine Distanzwaffe, die nach Abschuss von zwei nadelförmigen Pfeilelektroden auf eine Entfernung von bis zu sieben Metern eine neuromuskuläre Lähmung verursacht. Die Stromimpulse paralysieren den Aggressor für Sekunden und machen in Verbindung mit einem kurzen heftigen Schmerz jeden gewalttätigen Widerstand unmöglich. „Das Gerät soll aber auf keinen Fall die Kommunikation ersetzen“, hebt Hoppen hervor. „Die gelbe Signalfarbe und die Warnung, gleich einen Elektroschock auszulösen, reichen oft schon“, bemerkt die Trainerin.
Doch nicht immer. Den nächsten Eskalationsschritt führt Tim Hundertmark vom Streifendienst vor. Er drückt auf eine Taste und aktiviert das DEIG. Ein Lichtbogen erscheint, es knattert gefährlich und zwei Leuchtpunkte fixieren den virtuellen Unruhestifter. „Das wirkt. Auch Hartnäckige geben dann fast immer auf“, meint der Polizeioberkommissar. Das DEIG sei inzwischen bei sehr vielen Bürgerinnen und Bürgern bekannt, ergänzt Polizeikommissarin Corinna Petritsch. Das erleichtere die Arbeit. „Der Respekt ist riesengroß.“
Das zeigen die Beispiele aus der Praxis: In Gelsenkirchen überraschten Polizisten im Januar eine Bande von mutmaßlichen Einbrechern. Sie hatten offenbar vor, aus einer Lagerhalle Kupfer zu stehlen. Als sich drei Männer der Festnahme entziehen wollten, genügte schon der verbale Hinweis auf das Distanzelektroimpulsgerät, um sich abführen zu lassen. Ähnlich im Februar in Dortmund, als eine Streife eine Corona-Party beendete. Ein 30-Jähriger, der offenbar unter Alkohol- und Drogeneinfluss stand, griff die Beamten tätlich an. Als mit dem DEIG gedroht wurde, hörte er sofort auf. Ein paar Tage später waren dann schon Stromblitze nötig, um einen nächtlichen Randalierer, der mehrere Steine gegen einen Polizeiwagen warf, auszubremsen.
Für Einsatztrainerin Ivonne Hoppen ist es wichtig, dass die Kolleginnen und Kollegen mit Fingerspitzengefühl agieren. Durch das DEIG können Zugriffe ziemlich glatt verlaufen. „Bei Personen, die stark unter Adrenalin stehen, wirkt Pfefferspray beispielsweise oft nicht.“ Wenn Polizistinnen und Polizisten mit einem Messer angegriffen würden, eigne sich die neue Waffe aber nicht. Jeder müsse mit Bedacht handeln. Das DEIG ist keine Alternative für die Schusswaffe. Gemäß Einsatzkonzeption ist jeder Einzelfall vor dem Einsatz des DEIG durch die Kolleginnen und Kollegen zu prüfen. So sind zum Beispiel Einsätze des DEIG grundsätzlich zu vermeiden, wenn das polizeiliche Gegenüber erkennbar in einem fortgeschrittenen Lebensalter, körperlich gebrechlich, schwanger oder dem äußeren Eindruck nach noch nicht 14 Jahre alt ist.
Das aus den USA stammende Produkt ist mit den Jahren weiterentwickelt worden. Die Einsätze werden aufgezeichnet, auch wenn das Gerät zur Warnung nur Lichtbogen erzeugt. Die Stromstärke – im Unterschied zur Stromspannung – ist sehr niedrig. Die Kartuschen besitzen Seriennummern. Die Polizistinnen und Polizisten tragen das DEIG – gut sichtbar – an der Außentragehülle oder am Gürtel auf der der Schusswaffe gegenüberliegenden Seite, sodass eine Verwechslung mit der Schusswaffe praktisch unmöglich ist. „Die Handhabung haben wir besonders intensiv eingeübt“, resümiert Trainerin Hoppen. „Das kriegt jeder nach einigen Wiederholungen hin.“
Im Rhein-Erft-Kreis koordinierte Polizeihauptkommissar Stefan Casale das Pilotprojekt als Geschäftsführer. „Ich stelle die Verbindung mit dem Gesamtvorhaben her und setze es hier in der Behörde um.“ Zusammen mit den Verantwortlichen in Dortmund, Gelsenkirchen und Düsseldorf werden positive und negative Vorkommnisse gesammelt und in regelmäßigen Videokonferenzen mit dem LZPD besprochen.