Im Juli 2019 habe ich an dem Programm „Europäische Kommissariate“ teilgenommen. Das Programm bietet die Möglichkeit der grenzüberschreitenden, polizeilichen Zusammenarbeit mit Frankreich und anderen europäischen Staaten. So können sprachkundige Polizeibeamte zur Unterstützung in der touristischen Hochsaison und bei Großereignissen nach Frankreich abgeordnet werden und die dort ansässigen Polizeidienststellen bei ihrer Arbeit unterstützen.
Ich habe mich auf eine ausgeschriebene Stelle für den Ort Lacanau im Departement Gironde in Frankreich beworben. Nach einem Auswahlgespräch im Innenministerium Nordrhein-Westfalen wurde meine Bewerbung an das Bundesinnenministerium weitergeleitet, das meiner Verwendung in Lacanau zustimmte.
Camping mit französischen Kollegen
Ich fuhr am 13. Juli 2019 mit meinem privaten Pkw zu der französischen Dienststelle der Gendarmerie Nouvelle-Aquitaine in Lacanau. Meine Unterbringung erfolgte in einem Wohncontainer mit Sanitär- und Küchenzeile auf dem kommunalen Campingplatz in Lacanau. Ich war dort in einem separaten Bereich des Campingplatzes mit den anderen Gendarmen untergebracht, die sich dort saisonbedingt zur Verstärkung der örtlichen Gendarmerie befanden. Für meine Verpflegung musste ich selbst sorgen.
Lacanau - ein Paradies für Surfer
Lacanau ist eine französische Kommune mit etwa 5.000 Einwohnern im Département Gironde in der Region Nouvelle-Aquitaine und liegt etwa 45 km nordwestlich von Bordeaux an der Atlantikküste. Der Ortsteil Lacanau-Océan an der Atlantikküste ist als Badeort Ziel vieler Wassersportler und besonders bei Surfern sehr beliebt. Hier trifft sich auch die Welt-Elite des Surf-Wassersports. In der Hochsaison kommen auch sehr viele deutsche Touristen zum Campen, Baden und vor allem zum Surfen dorthin, da sie an der Atlantikküste perfekte Wellen für ihren Sport vorfinden. Drei Kilometer landeinwärts, durch Dünenlandschaften und Wald vom Atlantik getrennt, liegt außerdem der Lac de Lacanau, einer der größten Binnenseen Frankreichs. An diesem See liegt auch der Binnenort Lacanau. Auch diese Gegend gilt als Touristenmagnet. Der enorme Zustrom von Touristen bedeutet zur Saison jedoch, dass die Wache in Lacanau-Ville durch das hohe Einsatzaufkommen überlastet ist. Aus diesem Grund wird in den Sommermonaten eine provisorische Wache in Lacanau-Océan, sogenannte Poste Provisoire de Lacanau-Océan (PPLO), eingerichtet. Dieser Wache wurde ich zugeteilt.
Gendarmerie Nationale, Police Nationale und Police Municipale
Die polizeilichen Zuständigkeiten in Frankreich unterscheiden sich von denen in Deutschland. Gendarmerie Nationale und Police Nationale sind dem Innenministerium unterstellt. Die Gendarmerie hat aber die Besonderheit, dass sie bei Kriegs- oder Militäreinsätzen dem Verteidigungsministerium untersteht. Die Gendarmerie Nationale ist für ländliche Gebiete und Kleinstädte bis zu einer Größe von ca. 16.000 Einwohnern zuständig. Für städtische Gebiete ist die Police Nationale zuständig. Daher ist für Lacanau die Gendarmerie Nationale zuständig.
Daneben gibt es auf kommunaler Ebene die Police Municipale (Gemeindepolizei; vergleichbar mit dem Ordnungsamt), die den Bürgermeistern unterstellt ist. Die Police Municipale hat nur eingeschränkte Rechte und darf in der Regel nur Ortsrecht und die Einhaltung von Verkehrsvorschriften überwachen. Daneben unterstützen sie die für das jeweilige Gebiet zuständige nationale Polizeibehörde (Gendarmerie Nationale oder Police Nationale). Oft tragen die Beamten der Gemeindepolizei keine Waffe. Auf Antrag des Bürgermeisters kann die Police Municipale auch mit Waffen ausgestattet werden. Davon wurde in den letzten Jahren wegen der sich häufenden Übergriffe auf Dienstkräfte und der terroristischen Bedrohung vermehrt Gebrauch gemacht.
Viel zu tun auf der provisorischen Wache in Lacanau-Océan (Poste Provisoire de Lacanau-Océan)
Die Gendarmen des Poste Provisoire de Lacanau-Océan (PPLO) sind zuständig für die Ortsteile Lacanau-Océan, Carcans Plage, Le Moutchic und Carreyre, da dies hauptsächlich die Orte sind, an denen sich die meisten Touristen aufhalten. Für den PPLO werden Gendarmen und Gendarmerie- Reservisten aus den umliegenden Gebieten angefordert, die dann dort vorrübergehend Dienst versehen. Diese werden außerdem von Einheiten der Gendarmerie Mobile (Hundertschaften der Gendarmerie) oder, wie in meinem Fall, durch deutsche Polizisten unterstützt, sodass zur Hochsaison bis zu 60 Gendarmen vor Ort sind. Es waren in der Regel etwa fünf vollbesetzte Funkwagen auf Streife, was in Anbetracht der Größe des Wachbereichs (ca. 20 x 10 km) sehr viel ist. Dabei wurden die Streifenwagen verschiedenen Aufgaben zugeordnet.
Anders als in Deutschland waren die Streifenwagen meist mit drei bis vier Gendarmen besetzt. Zwei Streifenwagen wurden als PAM (Premier à Marcher) vorgeplant. Diese Einsatzmittel waren hauptsächlich dazu bestimmt, die polizeilichen Einsätze wahrzunehmen und waren in der Regel die ersten, die zum Einsatzort entsendet wurden. Hinzu kamen mehrere Streifenwagen die als PR (Police Route - Verkehrspolizei) oder SR (Surveillance General - allgemeine Überwachung) die PAM bei Bedarf unterstützen konnten. Sie waren aber in erster Linie für Verkehrsüberwachung/ -kontrollen oder Präsenz- und Präventionsaufgaben vorgesehen. Weiterhin wurden im Rahmen freier Kapazitäten auch Motorrad- und Fußstreifen vorgehalten.
Hinzu kam noch mindestens ein Streifenwagen des Peloton d’Intervention der Gendarmerie Mobile, die eigenständig im PPLO operieren. Diese Fahrzeuge waren mit besser ausgebildeten und ausgerüsteten Gendarmen besetzt, die auch erste Maßnahmen zur Terrorabwehr oder gefährlichere Eingriffe vornehmen können, um so die Lücke bis zum Eintreffen von Spezialkräften zu schließen.
Das Hauptaugenmerk der Gendarmen des PPLO galt der Bekämpfung von Fahrraddiebstählen am „Plage Sud“, der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität vor allem an den Stränden, der Bekämpfung von Taschendiebstählen, dem Verhindern des Wildcampens, der Bekämpfung von offenen Feuerstellen zur Verhinderung von Waldbränden und der Überwachung der Sperrstunde von Bars und Nachtclubs. Hinzu kamen vereinzelt weitere Delikte wie Exhibitionismus oder Diebstähle aus Kraftfahrzeugen. Dazu wurde auch mit der Police Municipale, dem Office National de Fôrets (Nationale Forstverwaltung) oder den CRS (Bereitschaftspolizei der Police Nationale) zusammengearbeitet, die für manche der Aufgaben die Fachdienststellen sind.
Die CRS übernehmen auch die Aufgaben der Rettungsschwimmer an manchen Strandabschnitten Frankreichs. Sie halten außerdem Ausschau nach Betäubungsmittelverstößen und informierten die Gendarmerie, da die Bearbeitungskompetenz in den ländlichen Gebieten in Frankreich ausschließlich für bestimmte Vergehen bei der Gendarmerie liegt. So kam es häufig vor, dass wir zum Rettungsschwimmerposten gerufen wurden, um dort Betäubungsmittel sicherzustellen bzw. Betäubungsmittel-Konsumenten oder Dealer zum PPLO (Wache) zu bringen.
Viele Gemeinsamkeiten aber auch Unterschiede zwischen der Polizeiarbeit in Frankreich und in Deutschland
Neben diesen speziellen Aufgaben gab auch viele Standardeinsätze, bei denen ich die französischen Kollegen begleiten konnte. Diese waren im Wesentlichen vergleichbar mit den Einsätzen wie ich sie aus meinem Streifendienst in Deutschland kenne wie zum Beispiel Körperverletzungsdelikte, häusliche Gewalt oder Diebstähle. Im Großen und Ganzen kann ich sagen, dass die Verfahrensweisen und Befugnisse zwar nicht immer genau gleich sind, aber dass sich die Polizeiarbeit in Frankreich und Deutschland sehr ähnelt und man mit denselben Problemen konfrontiert wird und auch ähnlich damit umgeht.
Überwiegend wurde meine Hilfe bei Opfern von Taschendiebstählen, Verkehrsunfällen und bei zivilrechtlichen Streitigkeiten benötigt. Von deutschen Touristen, die mich auf Streife ansprachen, wieso ein deutscher Polizist vor Ort sei, bekam ich durchweg positive Rückmeldungen. Es kam aber auch vor, dass Deutsche als Täter auffielen. In einem Fall zerstachen zwei deutsche Touristen die Reifen eines Streifenwagens der Police Municipale. Während des gesamten Vorgangs, von der Festnahme bis zur Vernehmung am darauffolgenden Tag, war ich in den Vorgang eingebunden. Bei der Gendarmerie werden die Vorgänge von Anfang bis Ende bearbeitet, und nicht wie in Deutschland üblich, an die Kriminalpolizei zur weiteren Ermittlung abgegeben.
Während meines Aufenthalts bestreiften wir häufig den Parkplatz des „Plage Sud“, die Promenade und die Fußgängerzone von Lacanau. Sofern es Probleme mit deutschsprachigen Personen gab, wurde ich hinzugezogen und konnte übersetzend helfen. Weiterhin kam mir neben meinen französischen Sprachkenntnissen auch meine Englischkenntnis zu Gute. Viele der französischen Kollegen sprachen nicht gerne oder gut Englisch, sodass ich häufig auch zur sprachlichen Unterstützung bei anderen Nationalitäten hinzugezogen wurde.
Nur der Einsatz von Reservisten als Gendarmen war während meines Aufenthaltes etwas befremdlich für mich. Die Reservisten absolvieren nur eine kurze Polizeiausbildung von wenigen Wochen und gehen in ihrem normalen Leben einer zivilen Tätigkeit nach, sind Studenten oder teilweise auch pensionierte Gendarmen. Zur Unterstützung bei Großereignissen werden diese dann angefordert und stehen den Gendarmen unterstützend bei. Sie sind ebenfalls bewaffnet, aber haben nur eingeschränkte Befugnisse, wie beispielsweise das Ahnden von Verkehrsverstößen und die Aufnahme von Personalien. Teilweise bildeten jedoch Reservisten eine Streifenwagenbesatzung. Falls es dann zu Einsätzen oder polizeilichen Maßnahmen kam, mussten diese erst telefonisch Rücksprache halten, ob ein „richtiger“ Gendarm zum Einsatzort nachentsendet wird oder in dessen Auftrag die nötigen Maßnahmen getroffen werden konnten.
Fazit
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Teilnahme an dem Programm für mich ein voller Erfolg war. Aufgrund des mir mitgeteilten Feedbacks der französischen Kollegen kann ich das sicher auch für sie sagen. Für mich ergab sich darüber hinaus die Möglichkeit, neue Freundschaften zu knüpfen und Erfahrungen in der Einsatzbewältigung auszutauschen. Für die Gendarmen war es eine enorme Arbeitserleichterung und beschleunigte und vereinfachte die Bearbeitung von Sachverhalten und Anzeigen. Den betroffenen Touristen konnte mit Rat und Tat vor Ort geholfen werden. In der Zukunft würde ich wieder an internationalen Programmen und Missionen teilnehmen. Dies wird in einem näher zusammenrückenden Europa immer wichtiger werden.